Jeden Monat haben wir ein Dokument oder ein Objekt aus dem Archiv oder eine Publikation aus der Bibliothek in unserem Schaufenster ausgestellt und dazu eine Geschichte erzählt. Hier sehen Sie die Bilder unserer 12 Schaufenster an der Goldgasse 10 in Chur.
Im Zentrum des Schaufensters „BündnerinnenStolz“ steht ein Werbealbum des Bündner Heimatwerks aus den 1940er-Jahren. Es gibt einen einzigartigen Einblick in die Produktionsverhältnisse und das Angebot des äussert erfolgreichen Heimatwerks und enthält auch Bilder von Heimarbeiterinnen. Darunter auch die Stickerin Ursula Donau-Hänny aus Protein, die um 1945 Kreuzsticharbeiten anfertigte. Für die betrage Frau waren die Aufträge des Heimatwerks – die Produkte wurden in Chur und vor allem in Zürich verkauft – ein wichtiger Zusatzverdienst. Denn damals gab es noch keine AHV. Die Ausstellung zeigt, wie wichtig die Initiative zur Gründung des Heimatwerks 1932 für Menschen in Berggebieten war, wie gross die Armut auf dem Land damals war und wie Frauen, die keine Ausbildung hatten, durch ihre Kenntnisse der Handarbeit mit den Aufträgen des Heimatwerks wohl zum ersten Mal ein eigenes Einkommen erzielten, das unter anderem auch ihre Stellung im Familienverband und im Dorf änderte. Ursula Donau und das Bündner Heimatwerk als Pioniertat von Frauen in Graubünden stehen beispielhaft für die historische Wirtschaftskraft von Frauen und die Bedeutung der weiblichen Arbeit in Krisenzeiten.
Sie gehörten zur Lieblingslektüre vieler Schweizer (auch Bündner) Hausfrauen: „222 Rezepte. Kochbuch für die einfache Küche" (1908) von Didi Blumer und Christine Zulauf, das Erlebnis-Kochbuch „Gritli in der Küche" (1903) von Emma Coradi-Stahl oder die Küchenfibel der Rationierung: „Haushalten in der Kriegszeit", herausgegeben von der Eidgenössischen Zentralstelle für Kriegswirtschaft. Setzten Blumer/Zulauf mehr auf einfach und preisgünstig, frönte „Gritli" als Magd im Herrschaftshaus auch mal der Cremetorte oder kochte Fasan, währenddem es in Kriegszeiten vor allem darum ging, trickreich zu strecken und zu sparen: Süssmost anstatt Zucker, Kartoffeln anstelle von Mehl und Innereien oder paniertes Euter im Austausch mit Fleisch. Die drei Kochbücher sind Schätze helvetischer Kochkultur, weil sie die Alltagsküche vieler Schweizer Familien vor der Konsumgesellschaft dokumentieren, und sie sind Zeugnisse einer Ethik traditioneller weiblicher Aufgabe und Verantwortung: Kann die Hausfrau, wie es etwa im Vorwort von 222 Rezepte steht, günstig und gut kochen, bekämpft sie Armut und Abstieg und sorgt für eine gesunde und leistungsfähige Familie und damit auch für eine tüchtige Gesellschaft.
„222 Rezepte" und Co. sind aber auch Anker der Identität und Fixpunkte der Heimat, denn sie tragen den „Wiedererkennungseffekt" in sich: Wer isst wie bei Muttern, fühlt sich daheim.
So ass die Schweiz: Drei historische Kochbücher für die Schweizer Hausfrau mit Rezepten wie "Hirn in weisser Sauce", paniertes Euter oder Lungenragout.
Im März-Fenster holt eine leuchtende Perlenkette unsere Ahninnen der Demokratie zurück: Hortensia v. Salis aus Maienfeld (1659-1715), die erste feministische Schriftstellerin der Schweiz überhaupt und Gelehrte, sagte den Männern 1696 (sinngemäss): Wir haben ein Recht darauf, das zu machen, was wir wollen. Die zweite, auch eine Salis und Historikerin, Meta von Salis-Marschlins (1855-1929) zog 200 Jahre später durch die Lande: Wir sind Menschen gleich wie ihr und haben deshalb gleiche Rechte. Die dritte, eine von Planta, Isa Hämmerle-Planta (1922-2012), führte 1971 das Frauenstimmrechts-Fähnlein an die Stammtische und Elisabeth Lardelli-von Waldkirch (1921-2008), 1973 eine der ersten drei Frauen im Grossen Rat und erste Bündner Nationalrätin, lehrte die letzten Bündner Bartträger 1983 das ABC der gleichen Rechte.
Das Fenster von "per ün mumaint" im April 2013 heisst "Schutzengel".
Dieses Mal haben wir etwas für LiebhaberInnen bezaubernder Nostalgiekunst parat: Ein Tauf-Kärtlein von 1861 mit einem lockigen Jesuskind im güldenen Medaillon und
dazu zwei illustrierte Brieflein mit frommen Segenssprüchen zweier Patinnen für den Täufling Christian Casparis von Klosters. Diese drei Dokumente sind nicht nur hübsch anzusehen, sondern zeugen
auch von der Bedeutung des Religiösen im damaligen Alltag. Nie sollte der Moment vergessen werden, als der junge Mensch in die Kirche aufgenommen wurde, stets sollte er sich seiner Bindung zur
Kirche bewusst sein. Mit dem Segensspruch gaben die PatInnen das Kind in die Obhut von Gott und erinnerten daran, dass die einzig legitime Lebenshilfe in der Religion zu suchen war. Götti und
Gotte versprachen, dem Kind im Notfall beizustehen, etwa wenn die Eltern starben. Auch uneheliche Kinder hatten Taufpaten. Doch hier versagte der Schutz: Viele wurden ihren Müttern weggenommen
und wuchsen unter misslichsten Umständen in Waisenhäusern auf.
Taufkärtlein von 1861 mit lockigem Jesus im güldenen Medaillon. (Bild Redolfi)
Unser Fenster im Mai in der Aktion "per ün mumaint" ist der Liebe und dem Heiraten gewidmet - klar, im Monat Mai. Es erzählt 1. die Liebesgeschichte von Hans Z. und
Miggi G. von Bever. Dazu gibt es ein Liebesgedicht von 1925, ein Bild der Verlobung und drei schön nostalgische Telegramme zur Hochzeit 1926. Und es zeigt 2. wie Paare 1915 und 1954 vor den
Traualtar traten. Dazu sehen Sie einen original Brautschleier von 1954.
Zwischen 1910 und 1919 lebte die renommierte Berner Malerin Hanni Bay mit ihrer Familie in Chur. Die sozial engagierte Künstlerin, die sich auch immer wieder für die
Rechte der Frauen einsetzte, malte in jeder freien Minute. Im Café, im Park, am Fenster. Sie war eine Meisterin der gemalten Gefühle und Stimmungen und erfasste Menschen mit wenigen
Pinselstrichen. Während der Zeit in Chur entstanden eindrückliche Bilder: von Arbeiterinnen und Arbeitern, Marktfrauen, Beamten, Lehrer, Bäuerinnen. Vier davon zeigen wir in der Serie "per ün
mumaint", das Archiv im Schaufenster, in der Juni-Ausstellung in unserem Schaufenster an der Goldgasse 10. Sie sind alle 1916 entstanden und zeigen Menschen auf den Strassen von Chur. Hanni Bay
lebte mit ihrem Mann, dem linken Juristen Christian Hitz, und den drei Töchtern im "Volkshaus", dem Alkoholfreien Restaurant in Chur. Hier traf sich während des 1. Weltkriegs die
Arbeiterschaft.
Leonarda von Plana war eine Pionierin. Weil sie als erste Frau den Chefsessel des Rätischen Museums besetzte und weil sie die erste Frau in der Schweiz überhaupt
war, die eine solche Institution leitete. Aufgewachsen aus Auslandschweizerkind in Arezzo, studierte sie in Florenz und schloss 1947 mit dem Doktorat als Historikerin ab. 1952 arebeitete sie im
"Istituto culturale svizzero" in Rom, 1964-1969 war sie Assistentin bei der Schweizerischen Gesellschaft für Ur- und Frühgeschichte in Basel, 1969 kam sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin ans
Rätische Museum und wurde 1976 zur Direktorin gewählt. In ihrem Privatarchiv findet sich unter anderem ein Gratulationsschreiben des damaligen Staatsarchivars, das offenbart, wie misstrauisch man
gegenüber den Frauen in den Wissenschaften damals noch war und wie wenig sie in der Forschung wahrgenommen wurden. Er verpflichtete die immerhin 56-Jährige darauf, das Erbe ihres Vorgängers Hans
Erb ohne Wenn und Aber weiter zu führen. Ein Brief, der einem Mann so wohl nie geschrieben worden wäre. Oder hätte man es bei einem Mann gewagt, ihm eine eigenständige Rolle als Direktor zu
verwehren? Leonarda von Planta setzte dennoch Zeichen und sie war als Fachperson weitherum anerkannt. Sie ebnete das Terrain für Wissenschaftlerinnen in Graubünden und weil sie beharrlich und
unbeirrbar ihren Weg ging und das Museum in eine moderne Zukunft führte.
Lesen und hören Sie den Bericht im Bündner Regionaljournal vom 12.8.13 zum Fenster "die Löwin" hier:
"Die Armee braucht FHD. Schweizer Frauen meldet euch." hiess es 1964 auf dem vom Eidgenössischen Militärdepartement in Auftrag gegebenen Plakat, das im Zentrum unseres September-Schaufensters
ist. Gestaltet wurde es vom Genfer Top-Grafiker Georges Calame (1930-1999) ganz im Stil der Sixties. Dieses Zeitdokument erinnert daran, dass seit dem Zweiten Weltkrieg Hunderte von Frauen in der
Schweizer Armee Dienst leisteten. Eine von ihnen war die Bündnerin Margrith Studach. Sie rückte 1955 als Motorfahrerin bei der Sanität ein. Wir zeigen Bilder aus ihrer Aktivzeit, etwa wie sie auf
dem „Mowag“ und dem „Dodge“ posierte. Lesen Sie, warum sie und Emilia Caveng, die ehemalige Leiterin der Bündner Frauenschule, ausgerechnet FHD wurden und was sie über die „Lebensschule“ Militär
sagen.
Emilia Caveng und Margrith Studach erzählen am 25. Oktober 2013 über ihre Zeit im FHD. Lesen Sie mehr dazu hier.
Sehen Sie die Sendung der Televisiun Rumantscha über unser Fenster FHD und über Sabina Bundi, FHD im 2. Weltkrieg vom 29.9.13 von Petra Rothmund hier (es beginnt auf Position 20.52)
Frauenkulturarchiv Graubünden
Dr. phil. Silke Margherita Redolfi, Leiterin
Goldgasse 10, 7000 Chur
081 250 04 60
frauenkulturarchiv @ bluewin.ch